Silvio muss wegen Gras ins Gefängnis und kämpft dafür, im Knast zu kiffen (2024)

Silvio T. muss in den Knast. Weil er zusammen mit zwei Bekannten acht Kilogramm Cannabis angebaut hat, wird der Berliner im November eine mehrjährige Haftstrafe antreten. Alleine das wären schon keine guten Aussichten. Aber wenn T. seine Strafe in der JVA Berlin-Hakenfelde antritt, erwartet ihn ein ganz besonderes Problem. Wegen einer einer neurobiologischen Erkrankung erhält der 43-Jährige seit 2017 Cannabis auf Rezept. Aber ob er seine von der Krankenkasse genehmigte Therapie im Knast fortsetzen darf, weiß er nicht.

Eigentlich sollte sich für Silvio T.s Therapie im Gefängnis nichts ändern. Schließlich ist medizinisches Cannabis ein ganz normales verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel. Allerdings dürfen Patienten ihre Medizin, auch Apotheken-Weed, nicht selbst in den Knast mitbringen. Ein Gefängnisarzt muss es verschreiben. Trotzdem: Bereits begonnene, kassenfinanzierte Therapien werden in der Regel auch im Knast naht- und problemlos fortgeführt. Nicht so bei medizinischem Cannabis.

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Medizinisches Cannabis im Knast: Berliner Justizverwaltung widerspricht sich selbst

Cannabis-Patienten wie Silvio T. können ihre Medizin, egal ob als Blüte, Extrakt oder Fertigarzneimittel nicht in Berliner Gefängnisse mitbringen. Das teilt die Justizverwaltung des Landes Berlin auf Anfrage mit. Und die Einschränkungen gehen darüber hinaus: “Medizinischer Cannabis wird im Berliner Justizvollzug grundsätzlich nicht verschrieben.” Bei Bedarf müsse man gegebenenfalls andere Therapien finden.

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Das ergibt wenig Sinn. Denn Krankenkassen übernehmen die Therapiekosten von Cannabis-Patienten überhaupt nur dann, wenn keine andere Therapieform mehr hilft. Das muss nicht nur der behandelnde Arzt bestätigen, sondern auch der unabhängigen Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK).

Nachfrage bei der Berliner Justizverwaltung: Welche anderen Therapien können Berliner Haftanstalten Cannabis-Patienten anbieten, auch wenn es offiziell gar keine anderen Therapien mehr gibt?

“Der Hinweis auf die grundsätzliche Verordnungspraxis impliziert bereits, dass nach sorgfältiger medizinischer Indikationsprüfung eben auch Verordnungen von Cannabinoidpräparaten erfolgen können bzw. erfolgt sind”, heißt es in der Antwort. Mit anderen Worten: Auch Gefängnisärzte können unter umständen Medikamente auf Cannabisbasis verordnen. Obwohl sie doch, laut der Antwort auf unserer ersten Anfrage, eigentlich “im Berliner Justizvollzug grundsätzlich nicht verschrieben” werden?

Also gilt doch kein grundsätzliches Verordnungsverbot im Knast? Auch nach zwei Nachfragen per Mail und zwei per Telefon erhalten wir keine konkrete Aussage dazu, ob medizinisches Cannabis in Berliner JVAs verschrieben und konsumiert werden darf oder nicht.

Nur für Freigänger im offenen Vollzug ist die Lage klarer. Wer während des Freigangs medizinisches Cannabis vom Fach- oder Hausarzt verordnet bekommt, muss es der Senatsinnenverwaltung zufolge außerhalb der Anstalt aufbewahren und auch außerhalb der Anstalt einnehmen. Freigänger dürfen es nicht in die JVA mitbringen – höchstens im Urin. Wenn einem Freigänger bei seiner Rückkehr THC im Urin nachgewiesen werde, toleriere das die Anstalt. Jedenfalls solange die Person ein Rezept vorweisen könne, heißt es aus der Pressestelle der Berliner Justizverwaltung.

Cannabis-Patienten überfordern das Justizsystem

Die Situation für Cannabis-Patienten im Gefängnis erinnert an die von Heroinabhängigen. Und die ist schon seit langer Zeit nicht besonders gut. Für Heroinabhängige ist es in Berliner JVAs nicht immer einfach, schnell in ein Methadon-Programm zu kommen. Die Berliner Justizbehörden haben im letzten Jahrzehnt zwar nachgebessert, das größte Problem scheint jedoch noch der Personalmangel zu sein. Man findet bis heute kaum ausreichend Fachärzte, die sich mit Substitutionsmedizin auskennen.

Doch während eine Substitution sehr unauffällig vonstatten geht – manche Patienten mischen Methadon in einen Becher O-Saft und trinken es –, müssten die meisten Cannabis-Patienten ihre Blüten, Extrakte oder Tropfen über einen Vaporizer inhalieren. Denn die orale Einnahme ist, anders als bei Methadon, aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts von 45 bis 90 Minuten bei vielen Krankheitsbildern gar nicht oder nur ohne akute Symptomatik möglich.

Genau hier scheiden sich wohl die Geister, auch wenn das niemand offiziell bestätigt: Legaler Grasgeruch im Knast dürfte den Verantwortlichen ein Gräuel sein, ganz zu schweigen von der zu erwartenden Reaktion der Mitgefangenen.

Und es kommen noch weitere Herausforderungen hinzu. Ein Cannabis-Patient könnte seine Medizin im Knast nicht einfach auf Zelle einnehmen. Das gäbe nicht nur Ärger mit dem Gesetz, sondern wahrscheinlich auch mit den Mitgefangenen. Also müsste die JVA-Leitung Cannabis-Patienten für die Einnahme einen geruchsdichten Raum zur Verfügung stellen, in der sie ihre Medizin mehrmals am Tag einnehmen könnten. Die Prozedur müsste jedes Mal ein Arzt begleiten, da die Überwachung der Einnahme verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel die Kompetenz der JVA-Mitarbeitenden überschreitet. Angesichts dieses Aufwands verwundert es nicht, dass Cannabis-Patienten unser Strafvollzugssystem ein wenig überfordern.

Außerdem ruhen die Leistungen der Krankenkasse im geschlossenen Vollzug. Demzufolge müsste die aus Landesmitteln finanzierte Haftanstalt die Kosten für das medizinische Cannabis tragen. Das ist in Deutschland extrem teuer. Ein Gramm kostet mit ungefähr 24 Euro das Vierfache wie in den Niederlanden oder Kanada. Allerdings kosten andere Medikamente wie zum Beispiel einige HIV-Präparate noch viel mehr. Ein Preis-Argument wäre also lediglich vorgeschoben.

Auch in anderen Ländern, die Cannabis legal als Medizin verschreiben, haben es Cannabis-Patienten in Haft oft schwer. In Kalifornien hat ein Gericht gerade entschieden, dass Strafgefangene zwar kleine Mengen nicht medizinisches Cannabis besitzen, es aber nicht konsumieren dürfen. In Kanada erhalten Cannabis-Patienten dagegen synthetische Cannabinoide als Tropfen.

Silvio T. sagt, er wisse auch eine Woche vor seinem Haftantritt nicht, wie es mit seiner Therapie im Knast weitergehen wird. Seine Anwältin habe darauf keine klare Antwort erhalten. “Ich würde sogar versuchen, von Blüten auf Extrakte umzusteigen, um kein Aufsehen zu erregen, aber auch darauf gibt es bislang kein Feedback”, sagt T. Er wolle auf jeden Fall alle Papiere mitnehmen – und seine Medizin. “Mal sehen, was passiert.”

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